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Rohstoffunabhängig und klimaneutral – Innovationen für die Kreislaufwirtschaft

Auf einer Innovations-Pressekonferenz am 30. März, zu der Plastics Europe Deutschland eingeladen hatte, stellte die Kunststoff-Branche Innovationen vor, die ein nachhaltiges Wirtschaften im Kreislauf vorantreiben. Führende Experten einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen skizzierten die Pfade zu einer klimaneutralen Industrie und weisen den Weg zu Rohstoffunabhängigkeit und Klimaneutralität.

Ralf Düssel auf der Innovation Pressekonferenz von Plastics Europe
Dr. Ralf Düssel, Vorsitzender von Plastics Europe Deutschland • Bild: Plastics Europe

Wo Zirkularität bereits gelebt wird, zeigen die folgenden Beispiele:

Evonik stellte vor, wie Additive für das mechanische und chemische Recycling die Effizienz von Recyclingprozessen und die Rezyklat-Qualität erhöhen: Ein Autositz aus nur einem Kunststoff, der gleich mehrere Anforderungen erfüllt, für die bislang verschiedene Kunststoffe eingesetzt werden mussten (das Gerüst soll stabil und robust sein, zugleich Lehne und Auflagen Halt geben. Außerdem erfordern Autositze ein einstellbares Gestell und somit etwa schienen und Regler. All das hat Evonik nun mit nur einem Material erreicht, das sich aufschäumen, extrudieren, spritzgießen und 3D-drucken lässt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Autositzen ist dieser neue Sitz somit viel besser recycelbar.

Nina Fechler auf der Innovation Pressekonferenz von Plastics Europe
Dr. Nina Fechler, Director Global Circular Plastics Program, Evonik • Bild: Plastics Europe

 

Das Smartphone des Herstellers Fairphone setzt nicht nur auf beste Recycelbarkeit, sondern denkt bereits Rückgabemöglichkeiten mit. Auch die Auswahl der Materialien im Hinblick auf einen möglichst niedrigen CO2-Fußabdruck und Ressourcenschonung spielen für die Entwicklung des Telefons eine wesentliche Rolle. Die rückseitige Gehäuseschale des Fairphone 4 besteht aus Kunststoff-Compounds des Unternehmens der Otto Krahn Group MOCOM. Sie zeichnet sich durch Langlebigkeit und Schlagfestigkeit aus. Das zu 100 % aus Post-Consumer-Abfällen recycelte Polycarbonat reduziert das Global Warming Potential (GWP) der Smartphone-Hülle um 80 % im Vergleich zur Verwendung von Primärware.

Innovations Pressekonferenz Plastics Europe Kunststoff Matthias Schulz
Matthias Schulz, Director New Business & Innovation, Otto Krahn New Business • Bild: Plastics Europe

Zudem gibt es viele Fragen zur Kreislaufwirtschaft, die im Folgenden beantwortet werden:

Warum brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft?

    • Die Kreislaufwirtschaft ist für die Kunststoffindustrie langfristig die einzige nachhaltige Art zu wirtschaften. Denn das lineare Wirtschaften, das auf der Nutzung fossiler Ressourcen sowie dem Konsum und Verbrauch von Gütern beruht, ist schlichtweg nicht nachhaltig. Das fossile Zeitalter belastet das Klima, sprengt planetare Grenzen und gefährdet somit das Ökosystem der Erde sowie die Lebensgrundlage der Menschen. Die Transformation ist die Grundlage einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Kunststoffindustrie. Güter, die nicht im Kreislauf geführt werden, verlieren ihren Wert als Wertstoffe für neue Anwendungen. Oft landen sie auch deshalb auf Deponien oder sogar in der Umwelt und belasten diese so zusätzlich.
    • Aktuelle Studien verweisen auf das erhebliche Treibhausgaseinsparpotenzial einer Kreislaufführung von Kunststoffen, bis hin zu möglichen Negativemissionen (siehe ReShaping Plastics-Studie, S.72). Mehr noch: Wertstoffe, beispielsweise Kunststoffabfälle, die als Sekundärrohstoffe im Kreislauf geführt werden, gelangen nicht in die Umwelt. Deshalb leistet eine Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen einen Beitrag zur Lösung des Plastikmüllproblems.

Wie sieht das Zielbild einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen konkret aus?

Das von führenden Experten für eine Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen erarbeitete Papier KreislaufwirtschaftPLUS skizziert drei wesentliche Pfeiler eines geschlossenen Kunststoff-Kreislaufs der Zukunft:

  1. Verlängerung der Kreislaufführung & Recycling: Die Kreislaufführung aller Anwendungen aus Kunststoff muss technologieoffen maximiert und nach Ökoeffizienz-Kriterien optimiert werden. Dazu müssen Abfälle a) minimiert (Reduce), b) Produkte wiederverwendet (Reuse) und am Ende der Nutzungsphase c) mechanisch oder chemisch recycelt werden (Recycle). In einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gibt es keinen „Müll“, sondern immer wieder neu zu recycelnde Wertkunststoffe, die im Kreis geführt werden und so den Ressourcenverbrauch reduzieren und das Klima schützen.
  2. Produktdesign: Für die Kreislaufführung ist auch ein Design der Produkte wichtig, das sie besser recycelbar macht (etwa aus Monomaterialien). Ein Beispiel von Evonik is eine bestens recycelbare Monomaterial-Zahnbürste. Zudem ist das Ziel, dass Produkte nicht nur weitgehend recycelt werden, sondern dass möglichst viel Rezyklat auch in neuen Produkten eingesetzt wird.
  3. Nichtfossile Rohstoffbasis/Feedstock: Da rein physikalisch keine 100-prozentige Wiederverwertungsquote möglich ist, müssen auch bei innovativstem Recycling dem Kreislauf neben Rezyklat auch neue Rohstoffe zugeführt werden. Wichtig ist, dass diese auf nicht-fossiler Grundlage basieren und so eine vollständig geschlossene Kreislaufwirtschaft ermöglicht wird, die uns zudem in geopolitisch unsicheren Zeiten rohstoffunabhängig macht. Hierfür kommen zwei rohstoffliche Grundlagen in Frage: 1) Als nachhaltig zertifizierte nachwachsende Rohstoffe und 2) die Nutzung von CO2 mittels Carbon 2 Capture and Utilization (CCU) aus fossilen, biogenen und sonstigen Punktquellen wie Industrieanlagen (z.B. Zementherstellung, Müllverbrennung) sowie aus der Atmosphäre, kombiniert mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff.

Wo befinden wir uns gerade – wie steht es um die Weiterentwicklung der Technologien?

  • In Deutschland fielen im Jahr 2021 5,76 Mio. t Kunststoffabfälle an. Davon wurden 3,66 Mio. t (64,4 %) energetisch verwertet, d.h. durch energetische Müllverwertung oder als Ersatzbrennstoff (insbesondere in Zementwerken) verbrannt. 1,96 Mio. t (34,6 %) wurden mechanisch recycelt, chemische Recyclingmethoden waren 2021 unbedeutend. Die Deponierung von Kunststoffen spielt mit 0,03 Mio. t (0,6 %) in Deutschland keine Rolle mehr. Insgesamt wurden 1,65 Mio. t Kunststoffrezyklat in 14,0 Mio. t Kunststoffneuware eingesetzt. Dies entspricht einem Rezyklateinsatz von ca. 11,7 %.
    Zur Steigerung des Rezyklateinsatzes wurden regulatorische Zielgrößen eingeführt. Nach dem vorliegenden Entwurf der Verpackungsverordnung soll für 2030 eine verpflichtende verpackungsbezogene Recyclingquote je nach Verpackungsformat zwischen 10 und 35 Massenprozent gelten. Für 2040 liegen die Zielgrößen zwischen 50 und 65 Massenprozent. Die EU-Einwegkunststoffrichtlinie schreibt bis 2025 25 % in PET Flaschen und bis 2030 30 % in allen Plastikflaschen vor. Überdies hat sich die EU-Kommission das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 zehn Millionen Tonnen recycelte Kunststoffe bei der Herstellung neuer Produkte einzusetzen.
  • Der heute bereits genutzte Biomasse-Anteil von 13 % im Rohstoffmix der deutschen organischen Chemie sollte – abhängig von der Verfügbarkeit zertifizierter „nachhaltiger“ nachwachsender Rohstoffe – weiter ausgebaut werden.
  • Der Kohlenstoffkreislauf wird durch Nutzung von CO2 mit grünem Wasserstoff (CCU) vollständig geschlossen. Die perspektivisch notwendige Nutzung von CO2 zusammen mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff weist einen sehr großen Bedarf erneuerbaren Stroms auf, dessen Quellen in Deutschland unbedingt wesentlich zügiger ausgebaut werden müssen. Bislang spielt CCU für die aktuellen Mengen erzeugter Kunststoffe noch keine Rolle.
Innovations PK Plastics Europe Dr Peter Sandkuehler Dow
Dr. Peter Sandkühler, Director Sustainability EMEA, DOW • Bild: Plastics Europe

Warum braucht es das chemische Recycling?

  • Aktuell werden nur etwa ein Drittel aller Kunststoffabfälle recycelt. Eine bessere Mülltrennung kann die Recyclingrate erhöhen. Ein smartes Produktdesign, bei dem Produkte nur aus einem Kunststoff bestehen und besser recycelt werden können, kann die Recyclingrate erhöhen. Und Innovationen beim mechanischen Recycling, die mehr und besser recyceln als bislang, können die Recyclingrate ebenfalls erhöhen.
  • Alle Wege zu mehr Recycling und Kreislaufführung sind wichtig. Aber: Wir brauchen mehr, unser Lösungsportfolio muss darüber hinausgehen. Mechanisches Recycling ist die effizienteste Recyclingmethode. Bestimmte Anwendungen benötigen jedoch beispielsweise Verbundstoffe, die nicht mechanisch recycelbar sind und etwa in Windrädern, E-Autos, Smart Devices und der Medizin zum Einsatz kommen. Auch Produkte, die den strengen Erfordernissen des Lebensmittelrechts genügen müssen, werden derzeit nicht recycelt. Und selbst die hervorragend recycelbare PET-Flasche kann zwar oft aber nicht endlos recycelt werden. Denn Kunststoff besteht aus sehr langen Polymerketten. Bei jedem mechanischen Recyclingvorgang werden diese Ketten verkürzt. Somit verschlechtert sich nach mehreren Recyclingzyklen die Materialeigenschaft des jeweiligen Kunststoffs. Es gibt also eine begrenzte Anzahl an mechanischen Recycling-Prozessen, die Kunststoffe durchlaufen können. Durch anschließendes chemisches Recycling kann aus dem Abfallstrom wieder Kunststoff in Neuwarequalität entstehen.
  • In einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen gilt es, keine der erwähnten Anwendungen zu verbrennen. Das zeigt auch ein aktueller JRC Technical Report der Europäischen Kommission, welcher die verschiedenen Recyclingverfahren mit der Verbrennung vergleicht und zum Ergebnis kommt, dass jede Art von Recycling (u.a. im Hinblick auf Klimaschutz, Defossilisierung und Ressourceneffizienz) der Verbrennung vorzuziehen ist (u.a. siehe S.44).
Markus Klatte auf der Innovation Pressekonferenz von Plastics Europe
Markus Klatte, Gründer und Geschäftsführer Arcus Greencycling Technologies • Bild: Plastics Europe

Ist das chemische Recycling keine Konkurrenz zum mechanischen Recycling?

  • Das mechanische Recycling ist für viele Abfallfraktionen sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht den chemischen Recyclingverfahren überlegen. Beim mechanischen Recycling wird der Kunststoff gereinigt, mechanisch zerkleinert, aufgeschmolzen und zu Kunststoffgranulat verarbeitet. Im Idealfall kann dieses Material sogar direkt wieder für dieselben Produkte verwendet werden.
  • Für die Produkte, die bei chemischen Recyclingverfahren entstehen, sind weitere Verarbeitungsprozesse notwendig – bei der Pyrolyse entsteht etwa Pyrolyseöl, und somit steht der Prozess weit am Anfang der Wertschöpfung bzw. der Herstellung von Kunststoffen. Aus ökologischer und ökonomischer Perspektive kann das chemische Recycling daher nicht mit dem mechanischen konkurrieren.
  • Verbraucht das chemische Recycling nicht zu viel Energie? Der reine Prozess der Aufspaltung der Molekülketten beim chemischen Recycling ist nicht energieintensiver als etablierte mechanische Recyclingmethoden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Energieverbrauch beispielsweise der Abfallpyrolyse –  einer Spielart des chemischen Recyclings – mit dem mechanischen Recycling vergleichbar ist. Ca. 5 % des Brennwertes der Einsatzstoffe bei der Pyrolyse werden laut einer neuen Studie des renommierten Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) für den Energiebedarf des Prozesses benötigt. Allerdings erfordert die Weiterverarbeitung der Aufspaltungsprodukte zu neuem Kunststoff-Granulat weitere Energie, so dass der Gesamtenergiebedarf für chemische Verfahren im Vergleich zum mechanischen Recycling tatsächlich größer ist.
  • Klar ist aber auch: Wir haben die Aufgabe, die Herstellung von Kunststoff von einer fortgeführten Nutzung fossiler Ressourcen zu entkoppeln. Anders ausgedrückt: Um die Industrie zu defossilisieren, sind neben dem mechanischen Recycling ergänzende chemische Verfahren notwendig. Denn damit können mehr Abfallströme durch das Recycling erfasst und die Verwendung von Rezyklaten in großem Umfang in allen Kunststoffanwendungen ermöglicht werden.
  • Wie der bereits genannte JRC Technical Report der Europäischen Kommission aufzeigt, ist – falls mechanisches Recycling nicht möglich ist – selbst ein höherer Energieaufwand für das chemische Recycling für Ressourcenschonung, Energieeffizienz und Klimaschutz die bessere Option im Vergleich zur Verbrennung.
Innovations PK Plastics Europe Prof Dr Christian Bonten IKT Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten, Leiter Institut für Kunststofftechnik, Universität Stuttgart • Bild: Plastics Europe

Sind bereits Anlagen in einem großindustriellen Maßstab in Betrieb?

  • Investitionen in großtechnische Recyclinganlagen für das chemische Recycling nehmen weltweit Fahrt auf. In Europa sind hohe Investitionen in den nächsten Jahren geplant. Allein die Mitgliedsunternehmen von Plastics Europe steigern ihre Investitionen in das chemische Recycling europaweit deutlich: von 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2025 auf 7,2 Milliarden Euro im Jahr 2030. Ab 2025 wollen die kunststofferzeugenden Unternehmen 1,2 Millionen Tonnen und ab 2030 3,4 Millionen Tonnen an recycelten Kunststoffen mit dem chemischen Recycling gewinnen.
  • Erste Anlagen sind in Deutschland und Europa bereits am Start, mehr als 40 weitere Projekte sind in Europa angekündigt.

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