Dr. Christoph Gürtler, Head of Global Industry Academia Collaborations bei Covestro, war zusammen mit Prof. Walter Leitner, Max Planck Institut für Chemische Energiekonversion und RWTH Aachen, maßgeblich an der Entwicklung eines Verfahrens beteiligt, bei dem Kohlendioxid zur Herstellung von „grünem“ Kunststoff verwendet werden kann. Ihre Methode basiert auf dem Einsatz chemischer Katalysatoren, die Reaktionen zwischen als Abgas anfallendem CO₂ und einem Erdölderivat ermöglichen. So entstehen Polymere wie Polyurethan-Kunststoffe auf eine nachhaltige und zugleich wirtschaftliche Weise. Wir haben mit Dr. Christoph Gürtler über die Rolle von CO₂ auf dem Weg vom fossilen Zeitalter in das zirkuläre Zeitalter gesprochen und welche Veränderungen dabei auf uns zukommen.
Mit Blick auf den Klimawandel ist klar, dass wir das sogenannte fossile Zeitalter dringend hinter uns lassen müssen. Also nicht länger fossile Rohstoffe nutzen, um daraus Produkte wie Treibstoff oder Kunststoff herzustellen. Denn die Herstellung und Nutzung dieser Rohstoffe setzt CO₂ frei, und die Endprodukte tun dies ebenfalls, wenn sie am Schluss, wie so oft der Fall, als Müll verbrannt werden. Wir müssen also dahin kommen, Rohstoffe und Abfälle im Kreis zu führen – der Eintritt ins zirkuläre Zeitalter.
Um das zu erreichen, müssen sich alle anpassen: Raffinerien, Industriezweige wie etwa Kunststoffhersteller – und die Verbraucher. Das ist ein großer Schritt, aber er ist alternativlos. Wir müssen zusehen, dass wir bei der Produktion so wenig CO₂ wie möglich in die Atmosphäre abgeben und so viel Kohlenstoff aus nicht-fossilen Quellen verwenden, wie irgendwie möglich. Das gilt auch bei Kunststoff, der bis dato hauptsächlich aus Erdöl hergestellt wird.
Hier kommt nun CCU ins Spiel: ein Verfahren, das Kohlendioxid als Rohmaterial für die Herstellung von Chemikalien nutzt. Damit das CO₂ mit anderen Substanzen reagiert, sind chemische Katalysatoren nötig. So stellen wir etwa Vorläufer für Polymere wie Polyurethan-Kunststoffe auf eine nachhaltige und zugleich wirtschaftliche Weise her.
Es gibt drei verschiedene Möglichkeiten. Zunächst die Verwendung von „Kohlenstoffrezyklat“, also das Recycling von kohlenstoffhaltigen Materialien. Hier geht es um die Frage: Wie können wir den Kohlenstoff wiederverwenden, den wir irgendwann in die Welt gesetzt haben? Wir können ihn zum einen mechanisch rezyklieren, also zerkleinern, einschmelzen und zu neuem Material verarbeiten. Zum anderen lässt sich Kunststoffabfall chemisch in seine Moleküle zerlegen, aus denen dann wiederum Polymere entstehen. Das ist oft der einzige Weg, um bestimmtes Altmaterial recyceln zu können.
Zudem ist es möglich, Kohlenstoff aus Biomasse zu gewinnen, etwa aus Pflanzen oder Lebensmittelabfällen. Das ist nichts anderes als die Verwendung von Nährstoffen und CO₂ zur Herstellung von chemischen Zwischenprodukten auf biologischem Weg, die wir dann später zu etwas Nützlichem verarbeiten können.
Die dritte Möglichkeit ist die direkte Nutzung von CO₂, um unseren künftigen Kohlenstoffbedarf zu decken. Es gibt sehr viel Kohlenstoff, auch genau dort, wo wir ihn nicht im Übermaß brauchen können: in der Atmosphäre. Experten haben bereits Verfahren entwickelt, um der Luft das CO₂ zu entziehen. Aber wir können den Kohlenstoff auch aus verschiedenen Industrieprozessen gewinnen, wo er als Abgas anfällt; beispielsweise in Ammoniak- oder Biogasanlagen. Dort entsteht CO₂ bei der Fermentation. Es gibt also genügend CO₂-Quellen, die wir anzapfen können, um Kohlendioxid in etwas zu überführen, aus dem wir später wieder Chemieprodukte oder Kunststoffe machen können.
Berechnungen des Nova-Institut aus Hürth bei Köln zeigen, dass bis zum Jahr 2040 oder 2050 kaum noch fossile Rohstoffe nachgefragt werden. Wir werden stattdessen sehr viel Kunststoffrezyklat bearbeiten. Mechanisches und chemisches Recycling wird einen Aufschwung erleben und etwa einen Anteil von rund 55 Prozent vom Rohstoffmix ausmachen. Rund 20 Prozent unseres Kohlenstoffbedarfs werden wir aus biologischen Quellen decken. Insbesondere, wenn es um chemisch höherwertige Anwendungen geht, die sogenannten stärker funktionalisierten Moleküle. Darüber hinaus wird die Nutzung von CO₂ steigen und vermutlich die restlichen 25 Prozent bilden.
Der European Green Deal gibt ab den 2030er Jahren Minimalquoten für erneuerbaren Kunststoff für verschiedene Anwendungen vor. Letztendlich ist erneuerbarer Kohlenstoff ein „Muss“. Es wird kommen. Die Regularien sind zwar noch nicht alle da, aber sie sind angelegt.
Wir müssen das CO₂ mit regenerativ erzeugten anderen Molekülen reagieren lassen. Das klingt recht einfach. Aber es muss eine große Hürde überwunden werden. CO₂ ist äußerst reaktionsträge, denn es hat, als Endprodukt der Verbrennung, kaum noch Energie in sich. Deswegen muss man es mit energiereichen Substanzen zusammenbringen.
Hier sticht insbesondere die Umwandlung von CO₂ zu Methanol mithilfe von Wasserstoff hervor, alternativ auch zu Methan. Wichtig ist, dass der Wasserstoff und der chemische Prozess dahinter entsprechend ausgereift sind. Gleichzeitig muss CO₂ in entsprechender Konzentration verfügbar sein. Das wird aber alles demnächst der Fall sein.
CCU ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn man es skalieren kann. Wir müssen schnell aus Laboren zu Demoanlagen in einen großen Maßstab von mehreren hunderttausend Tonnen kommen. Genau das wird mit Methanol möglich sein. Und genauso läuft es auch bei der Herstellung von Kohlenmonoxid, ebenfalls ein wichtiger Ausgangsstoff in der Chemie- und Kunststoffindustrie, mithilfe von Kohlendioxid. Auch bei diesem Prozess muss Energie hinzugefügt werden, und auch hier muss sie aus erneuerbaren Quellen stammen, sonst ist das nicht sinnvoll. Kurz: Die Nutzung von CCU in der richtigen Art und Weise für die richtigen Intermediate wird stark zunehmen. Wenn die erneuerbare Energie am Standort zu den richtigen Bedingungen verfügbar ist, sollten wir diese Technik anwenden. Langfristig ist damit zu rechnen, dass deutlich mehr grüne Energie verfügbar ist. Und auch, dass niemand mehr etwas mit fossilen Materialien zu tun haben möchte. Das ist aus Verbrauchersicht schon jetzt erkennbar.
Ja, die CO₂-Abscheidung ist energieintensiv. Wichtig ist aber, das große Bild im Kopf zu behalten. Wir müssen uns immer anschauen, wie sich das Produkt, das dabei herauskommt, im Vergleich zu anderen Vorgehensweisen schlägt. Der Energieaufwand für die CO₂-Abscheidung rechnet sich um in sogenannte CO₂-Äquivalente. Das führt in der Regel zu einer CO₂-Fracht von 0,1 oder 0,2 Kilo pro Kilo CO₂. Dies ist eine wichtige Rechengröße für Lifecycle-Analysen, um die Sinnhaftigkeit einer Vorgehensweise herauszustellen. Wenn das Molekül mit erneuerbarer Energie auf ein höheres Energieniveau gebracht wird, wie beispielsweise Methanol, lohnt sich dieser Aufwand – verglichen mit der bisherigen fossilen Route. Mit dieser Vorgehensweise soll die Industrie dafür sorgen, dass die beste Lösung gefunden wird. Ziel muss es sein, die ökologische Belastung der Umwelt so gering wie möglich zu halten.
Dort, wo es leicht ist, an CO₂ heranzukommen und wo ausreichende Mengen erneuerbaren Wasserstoff zu vernünftigen Preisen zur Verfügung stehen, ist CCU durchaus sinnvoll. Die Defossilisierung wird zu anderen Werteströmen führen. Wir werden zukünftig unsere Elektrizität und unseren Kohlenstoff aus erneuerbaren Quellen beziehen und sehr viel stärker in Rezyklate investieren müssen. Das heißt, ein Großteil des Kohlenstoffs, den wir vorher in Form von fossilen Ressourcen importiert haben, liegt schon bei uns. Diese Mengen müssen wir jetzt im Kreislauf führen und rezyklieren.
Nach Expertenmeinungen ist sichergestellt, dass es langfristig genügend Punktquellen für die stoffliche Nutzung von CO₂ geben wird. Das Interesse aller liegt daran, die Gesamtmenge des emittierten CO₂ zu reduzieren. Es gibt gewisse Industrien, die CO₂ intrinsisch erzeugen, wie beispielsweise die Baustoffbranche. In einem Zementwerk wird Calciumcarbonat verwendet, das zu Calciumoxid und eben CO₂ gebrannt wird. Auf dem Bau wird es dann wieder zu Calciumcarbonat in Form von Beton umgesetzt. In Zementwerken hat man also eine sogenannte Punktquelle für CO₂ in großer Konzentration, das abgeschieden werden kann. Dieses lässt sich wiederum beispielsweise mit erneuerbarem Wasserstoff zu Methanol umsetzen und dieses anderweitig nützlich verwenden. Es gibt aber noch weitere Industrien, die nebenbei CO₂ erzeugen. Dazu gehören beispielsweise biogene Quellen wie Brauereien. Einen Aufschwung erleben aber gerade auch Biogasanlagen. Dieses CO₂ muss man etwas säubern, dann ist es aber verfügbar.
Darüber hinaus gibt es chemische Prozesse, bei denen CO₂ als Nebenprodukt entsteht, wie etwa bei der Herstellung von Ethylenoxid. Auch hier lässt sich das CO₂ später abscheiden. Langfristig werden wir dieses Ethylenoxid brauchen, denn das ist der Rohstoff für unsere Alltags-Reinigungsmittel, auf die wir sicherlich nicht verzichten werden.
Vermutlich ja. Ob Deutschland damit selbst zum Rohstoffhersteller wird, ist von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energie abhängig. Und wie viel davon für die Chemie genutzt wird, die ja sozusagen in Konkurrenz mit anderen Sektoren Transport oder Wärme-Herstellung steht. Das ist auch eine Frage der Preisfindung. Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft besonders energieintensive Produkte deutlich weniger im Markt sehen, als dies heute noch der Fall ist.
Methanol als ein großvolumiger Kohlenstoff-Träger auf der Basis von CO₂ wird mit Sicherheit kommen. Alle weiteren Anwendungen, auch Polymere, werden bedeutend kleiner sein. Sie sind schön für einen Showcase, um die Möglichkeit aufzuzeigen. Doch verglichen mit der Volumennutzung zum Beispiel von CO₂ zu Methanol oder zu Kohlenmonoxid sind Anwendungen mit Polymeren nur ein kleiner Teil. Kohlenmonoxid, das aus CO₂ hergestellt wird, kann als Baustein für ganz unterschiedliche Endprodukte eingesetzt werden – etwa in einem Turnschuh, den Covestro 2022 auf der weltgrößten Kunststoffmesse, der „K“ in Düsseldorf, vorgestellt hat.
Ja! Wir müssen uns aber generell Gedanken darüber machen, wie wir auch alle in der Vergangenheit hergestellten Stoffe rezyklieren. Dabei geht es nicht um die Frage, ob gut oder weniger gut rezykliert werden kann. Es geht ganz wesentlich darum, dass man sie überhaupt wiederverwerten kann.
Es ist immer schwierig, in die Zukunft zu schauen und zu sagen, wer hier das Rennen machen wird. Wir wissen aber, dass für Methanol aus CO₂ weltweit große Kapazitäten aufgebaut werden.
Erneuerbarer Kohlenstoff, beispielsweise aus CO₂, und erneuerbare Energie müssen Hand in Hand gehen. Wir müssen die Anwendungen finden, die das größte Potenzial haben. Als Wissenschaftler ist mir ganz wichtig, dass wir die verschiedenen Ansätze nicht gegeneinander ausspielen. Letztendlich wissen wir nicht, was sich künftig durchsetzen wird. Das entscheiden Industrie und Verbraucher und in gewissem Maße die Politik in einem sehr komplexen Prozess.
Wir brauchen effiziente und nachhaltige Technologien, um an Kohlenstoff zu kommen. Ob die Quelle Biomasse, Rezyklat oder CO₂ ist, spielt dabei zunächst einmal keine entscheidende Rolle. Wichtig ist vor allem ein sicherer Zugang. Und diesen benötigen wir schnell, dafür sollte ein allgemeines Verständnis existieren. Uns Verbrauchern muss klar sein, dass sich gerade etwas ändert. Von fossil geht es hin zu zirkulär. Wir sind gut beraten, uns daran zu beteiligen, erneuerbaren Materialien eine Chance zu geben und die entsprechenden Produkte auch zu kaufen. Die Nachfrage nach grünen Alltagsprodukten nimmt messbar zu, das bestätigt auch eine McKinsey-Analyse. Sie zeigt, dass sich vor allem die energie- und klimaintensiven Industrien wie die Chemie dramatisch verändert. Die Zukunft des Kohlenstoffs ist grün. Daran führt kein Weg vorbei.
Dr. Christoph Gürtler ist Head of Industry Academia Collaborations bei Covestro. Er hat Chemie an der Universität Bonn und der TU Berlin studiert, wo er 1996 promoviert wurde. Seine berufliche Laufbahn begann er 1997 beim Bayer-Konzern, zu dem Covestro damals gehörte. 2007 stieß Gürtler zur Katalyseforschung, wo er seither leitende Funktionen innehat und die er zu einem Bereich für Technologieentwicklung ausbaute.
Zudem rief Dr. Gürtler 2007 zusammen mit Professor Walter Leitner von der RWTH Aachen das CAT Catalytic Center ins Leben. Bis heute gehört er dem Leitungsteam dieser Forschungseinrichtung in Aachen an, die von der Hochschule und Covestro gemeinsam betrieben wird. Außerdem ist er Mitglied einer Reihe anderer wissenschaftlicher Gremien wie dem Beirat der „Global CO₂ Initiative“. Er ist Autor und Mitinitiator von mehr als 140 Patenten und Patentanmeldungen, davon 48 zur CO₂-Verwendung. Zudem ist Gürtler an zahlreichen Studien und Papieren der EU beteiligt, zu denen eine Untersuchung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) zur Nutzung von Kohlendioxid zählt. 2014 wurde Gürtler mit der Otto-Bayer-Medaille der Bayer AG ausgezeichnet.